
Kreativität entsteht dort, wo wir wahrnehmen, denken und handeln – in einem lebendigen Zusammenspiel, das Präsenz, Bewegung und Bewusstsein verbindet. Aus dieser Beobachtung heraus habe ich das Programm "Kreativität und Körper" entwickelt, das ich an Hochschulen unterrichte.

Gestalterinnen und Gestalter bewegen sich heute in komplexen, schnellen und zum Teil widersprüchlichen Systemen. Sie sind gefordert, Lösungen zu entwickeln, die sinnvoll sind, verbinden und transformieren. Das Programm „Kreativität und Körper“ untersucht, wie Körpererfahrung kreative Prozesse aus phänomenologischer Perspektive unterstützt – also aus dem unmittelbaren Erleben heraus. Denn: Kreativität ist kein rein geistiger Akt. Sie ist ein leiblicher Prozess, in der untrennbaren Verbindung von Denken, Fühlen und Handeln. So bildet der Körper das Fundament jeder schöpferischen Tätigkeit: Bevor wir denken, gestalten oder forschen, spüren wir. Unser Körper ist unser erstes Erkenntnisinstrument.

Bereits am Bauhaus der 1920er-Jahre wurde der Körper als Ausgangspunkt des Gestaltens verstanden. Johannes Itten sah im Körper das Bindeglied zwischen Innenwelt und Ausdruck. Seine von der Mazdaznan-Lehre inspirierten Atem- und Konzentrationsübungen dienten der Sammlung und Klärung – als Grundlage freier Gestaltung. Ittens ganzheitliche Pädagogik gilt heute als Vorläufer achtsamkeitsbasierter Kreativmethoden.
Gertrud Grunow entwickelte eine Harmonisierungslehre, die Klänge, Farben und Formen miteinander verband. Durch bewusste Bewegung und Sinneswahrnehmung sollte ein inneres Gleichgewicht entstehen, das kreative Energie freisetzt.
Oskar Schlemmer verstand den Körper als Maß und Zentrum des Raumes. In seiner Bühnenarbeit wurde Bewegung zur sichtbaren Form – Ausdruck räumlich-gestaltender Intelligenz. Karla Grosch führte diesen Ansatz weiter in den Bereich von Tanz und moderner Körperbildung. Sie vermittelte Haltung, Ausdruck und Bewusstsein durch Bewegung – an der Schnittstelle von Kunst, Sport und Rhythmus.
Die moderne Neurowissenschaft bestätigt heute den engen Zusammenhang zwischen Körper und Kreativität. Kreative Prozesse entstehen im Wechselspiel zweier Gehirnnetzwerke: dem Default Mode Network (DMN), aktiv in Ruhe, beim Tagträumen und freien Assoziieren, und dem Executive Control Network (ECN), zuständig für Fokus, Planung und Bewertung.
Kreativität entsteht, wenn wir flexibel zwischen diesen Zuständen wechseln – zwischen Loslassen und Fokussieren, Intuition und Kontrolle. Bewegung, Atmung und Achtsamkeit fördern genau diese Dynamik: Sie verschieben den Fokus vom reinen Denken hin zum Erleben.
Achtsamkeit, Atmung und Bewegung sind keine bloßen Ergänzungen, sondern zentrale Erkenntnismittel kreativer Forschung. Der Körper denkt mit – er erinnert, spürt, reagiert und öffnet Zugänge zu einem Wissen, das sich nicht allein in Sprache oder Theorie fassen lässt.
Wenn wir lernen, genauer zu spüren und präsent zu bleiben, verwandelt sich der Körper selbst in einen Denkraum. In diesem Raum entsteht Resonanz. Innere Impulse und äußere Anforderungen treten miteinander in Austausch.
So zeigt sich Kreativität als verkörperter Prozess: Sie geschieht, während wir uns bewegen, wahrnehmen und gestalten – lebendig, sinnlich und ganz im Moment.

©2019, Alexandra Gomez. Alle Rechte vorbehalten.